Wohngebiet und Birkenstein Oktober 2000

Gutachten von 1996 ist keine Antwort auf Bedenken von heute

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Degewo und Bezirksamt möchten weiterhin keinen Planungsdialog mit der Bürgerinitiative Bisamstraße. In Sachen Großbauprojekt Bisamstraße will die degewo stattdessen Fakten schaffen. Unterstützung erhält die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft vom Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf, die sich nicht mehr an ursprüngliche Zusagen halten und der degewo jede Bebauung ermöglichen will. Das ist das Ergebnis einer ernüchternden Kommunikation der Bürgerinitiative mit degewo und Bezirksamt. Besonders ernüchternd: Die Planer waren offenbar länger nicht oder noch nie vor Ort, denn es wurde ein Bild von der Bisamstraße offenbart, das schlichtweg falsch ist.

Auf 10 Seiten summierten sich die Bedenken der Bürgerinitiative, die sie Anfang Juni an die Bezirksbürgermeisterin und die degewo versandt hatte. Zusammengetragen in ehrenamtlicher Arbeit, stundenlangem Aktenstudium und Gesprächen mit vielen Bürgerinnen und Bürgern sowie Trägern und Verantwortlichen vor Ort. Die Antwort im August macht deutlich: Bezirksamt und degewo bügeln die Sorgen der derzeitigen und künftigen Anwohner und Anwohnerinnen ab. Das Bezirksamt trägt dabei Widersprüche offen zur Schau. Versichert die Bezirksbürgermeisterin zu Beginn der Antwort beispielsweise: „Das aktuelle Vorhaben der degewo hält die Festsetzungen des Bebauungsplans ein“, heißt es auf der Schlussseite, mit Ausnahme der Überschreitung der Grundflächenzahl entspreche die geplante Bebauung den Festsetzungen des Bebauungsplanes. Dass bei der Bebauung von 10 ha Bauland durch ein Großunternehmen die Grundflächenzahl nicht unerheblich ist, scheint nicht zu interessieren. Man tut so, als würde man bei einem kleinen Bauherrn eine geringfügige Überschreitung tolerieren. Ein gutes Zeichen für alle Großinvestoren.

Abweichung vom B-Plan: Bezirksamt reagiert mit Achselzucken

Noch schlimmer für die Bürgerinitiative: Diese Aussage scheint schlicht falsch, denn dies ist längst nicht die einzige Abweichung vom B-Plan. So plant die degewo nun ihre Parkplätze innerhalb der 5-Meter tiefen Tabuzone der Bisam- und Seidenschwanzstraße. Diese Tabuzone ist als textliche Festsetzung Nr. 3 im B-Plan ausdrücklich vorgeschrieben. In einem Gespräch am 17. August gab es beim Hinweis der Bürgerinitiative auf diese Regelung nur Achselzucken und staunende Blicke.

Die Blicke versteinerten sich schließlich bei der Frage, wie denn ein Auto auf seinen degewo-Parkplatz kommt? An der Bisamstraße gibt es bekanntlich Hochbord- und Gehweganlagen sowie einen Grüntrennstreifen. Der Sachverhalt, dass Bisam- und Seidenschwanzstraße über Gehwege verfügen, die mit einem Bordstein von der Fahrbahn getrennt sind, war Degewo und Bezirksamt scheinbar nicht bekannt. Das gab das Bezirksamt sogar schriftlich: „Die Bisamstraße und Seidenschwanzstraße sind Wohnstraßen, die als Mischverkehrsflächen (Anm. BI: also ohne separate Gehwege) angelegt wurden“. Es scheint, als waren trotz der Brisanz und der öffentlichen Diskussion weder die degewo-Planer noch Vertreter des Bezirksamtes in den vergangenen Monaten vor Ort. Übrigens: Noch im Dezember 2019 hat das Bezirksamt auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten Mario Czaja im Abgeordnetenhaus jedwede Abweichung vom B-Plan ausgeschlossen.

Das Bezirksamt vermutet Mischverkehrsflächen, wo praktisch keine Mischverkehrsflächen sind.
Auszug aus dem Schreiben des Bezirksamtes Marzahn-Hellersdorf. Die benannten Straßen sind jedoch gar keine Mischverkehrsflächen.

Mit Lösungen aus dem Jahr 1996 in die Zukunft

Die mit der wesentlich dichteren Bebauung verbundenen verkehrlichen Auswirkungen wurden trotz diverser Hinweise aktuell in keiner Weise geprüft. Dies sei nämlich längst geschehen, und zwar mit einem Verkehrsgutachten von 1996. Aufgestellt zu einer Zeit, als es weder überfüllte Kitas und Schulen, noch im benachbarten Birkenstein große Gewerbezentren und Einkaufsmärkte gab.

Wohngebiet und Birkenstein Oktober 2000
Bisamkiez und umgebendes Wohngebiet im Oktober 2000.
Zitat zur Kita-Kapazität. Die vorgerechnete Überfluss ist praktisch nicht vorhanden.
Auszug aus dem Schreiben des Bezirksamtes Marzahn-Hellersdorf zur Kita-Kapazität. Rechnerisch richtig, aber die Realität zeigt eine überfüllte Warteliste für Kita-Plätze.

Auch die Kitaversorgung sei doch völlig ausreichend, so Bezirksbürgermeisterin Pohle in ihrer Antwort: „Es werden hier derzeit 80 Plätze angeboten und damit 32 Plätze mehr als ermittelt (Anmerkung BI: im B-Plan kalkuliert). Ausgehend von 264 zuzüglichen Einwohner*innen käme man […] auf zusätzlich 11 Kita-Plätze. Diese wären damit bereits hergestellt.“ Das klingt fast höhnisch, denn die Kitas im Mahlsdorfer Norden sind allesamt überlaufen. Egal, um was es geht, die Bezirksbürgermeisterin rechnet für degewo und Senat alles schön. Für die Familien vor Ort ist es nicht schön, ohne Aussicht auf einen Platz auf der Warteliste der örtlichen Kita zu stehen.

Argumente zählen nicht

Die Bürgerinitiative Bisamstraße hat jetzt mehrfach angeboten, diese Fragen in einem Planungsdialog miteinander zu klären. Das wurde von der degewo ausdrücklich abgelehnt, ein Planungsdialog mit der Bürgerinitiative komme für die degewo nicht in Frage. Und auch das Bezirksamt will nicht auf Argumente eingehen. Wohnraum werde dringend benötigt, Punkt. Da geht es nicht mehr um ganzheitliche integrierte Planungsansätze. Verkehrliche, städtebauliche oder umweltfachliche Aspekte werden schlicht beiseite geschoben, der Tenor lautet: Das müsse man sich nicht „erneut“ anschauen. Wer so argumentiert, der will seine politische Wohnungsbaubilanz aufbessern, vor einer Wahl Stimmung machen. Dass der hier offenbar geplante Wohnraum mit durchschnittlichen Wohnungsgrößen von vermutlich 70 m² dem Bedarf von Familien beispielsweise überhaupt nicht gerecht wird, spielt keine Rolle mehr. In Berlin ist Wohnraum vor allem auch für Familien mit mehreren Kindern knapp und unerschwinglich geworden. Im Mahlsdorfer Norden gäbe der Platz genau diesen Familien eine Zukunft. Aber nicht auf 70 m².

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